Keines Notizbuch auf großer Reise bis nach Amerika

Montag, 17.01.2022

Über 130 Jahre in Gebrauch in Ostbevern und Piqua/Ohio

Text von Werner Schubert/Alfred Stiller

Werner Schubert mit dem 'Kleinen Notizbuch aus Amerika'
Werner Schubert, der sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte der Auswanderer aus Ostbevern nach Amerika beschäftigt und dazu mehrere Bücher und andere Publikationen veröffentlicht hat, war in den letzten Monaten ganz besonders gefordert. Ein kleines Notizbuch – geschrieben zwischen 1750 und 1879 – hat ihm einige schlaflose Nächte beschert. Drei Generationen der Familie Eilermann haben sowohl in Ostbevern, als auch nach der Ausreise nach Amerika, dort im Bundesstaat Ohio, dieses Buch mit Eintragungen gefüllt. Das alles natürlich handschriftlich, manchmal in ganz individueller Rechtschreibung und in der damals gebräuchlichen altdeutschen Schrift – ähnlich der Sütterlinschrift, die aber erst um 1915 in Preußen eingeführt wurde.
Werner Schubert berichtet, wie er in Besitz einer Kopie des alten Notizbuches gekommen ist: „Von der Existenz dieses alten, mir als Kopie vorliegenden Notizbuches der Familie Eilermann aus der Bauerschaft Schirl in Ostbevern erfuhr ich im September 2020, als mich sein Besitzer aus Piqua im Bundesstaat Ohio um Hilfe beim Lesen und Verstehen des Buchtextes bat. Vermittelt hatte diesen Kontakt Prof. Dr. Walter Kamphoefner von der Texas Universität, der von meinen Forschungen zur Auswanderung aus Ostbevern nach Nordamerika wusste. So kamen diese interessanten und in ihrer Art außergewöhnlich seltenen Aufzeichnungen von drei aufeinanderfolgenden Generationen der Familie Eilermann nach Ostbevern zurück. Die erstaunliche Bandbreite der Themen von 1750 bis 1879 umfasst politisches und soziales Leben, Krieg und Naturereignisse.“
Der erste Schreiber, Jürgen Heinrich Eilermann, 15.04.1721 in Ostbevern, schildert zunächst das Schicksal der Wiedertäufer in Münster 1534/35. Ob Eilermann von den schon fast 200 Jahre früheren Ereignissen so beeindruckt war, dass er diese aufzeichnete, lässt sich nicht ergründen.
Im zweiten Eintrag beschäftigt er sich mit der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648), in der der Schultenhof Rottwinkel im Schirl in acht ziemlich gleich große Kötterstellen aufgeteilt wird. Aertker, (56 Morgen) Bankemper, (heute: Brune, 58 Morgen) Bücker, (heute: Lütjen, 66 Morgen) Burlage, (heute: Olgemöller, 48 Morgen) Buschjohann, (heute: Nolle-Buschmann, 56 Morgen) Krieg (71 Morgen) und Rottwinkel (58 Morgen). Auch hier sind die Beweggründe für die Aufzeichnung, nach mehr als 100 Jahren, nicht direkt schlüssig und es können nur Vermutungen angestellt werden.
Außerdem berichtet er von Naturkatastrophen 1788 und 1791. Die Ernte ist durch Hagelschlag bzw. wegen eines Kälteeinbruchs auf dem Felde erfroren. Große Hungersnöte gab es in den folgenden Jahren. Ein Malter Roggen kostete gewöhnlich 5 – 7 Taler. 1791 kostete 1 Malter Roggen 24 Taler, der Preis hatte sich also vervierfacht und diese damals gebräuchlichen Lebensmittel konnten von vielen Familien nicht mehr bezahlt werden.
Das „Notizbuch“ wurde dann von Joan Bernard Sudhues, der nach der Heirat mit Anna Maria Elisabeth Eilermann im Jahr 1802 den Namen Eilermann übernahm, fortgeführt.
Die Jahre 1800 bis 1820 sind in sozialer und politischer Hinsicht turbulent und schwer. Die Bevölkerung muss sich mehrmals auf neue Obrigkeiten – Fürstbistum Münster, Königreich Preußen, Großherzogtum Berg, Kaiserreich Frankreich und wieder Königreich Preußen – einstellen. Ein harter Einschnitt für die männlichen Bürger ist die Einführung der Wehrpflicht. In Ostbevern wird am 01.01.1810 der „Code civil“ eingeführt und 1811 die Leibeigenschaft durch Napoleon aufgehoben.
Wie die gesamte Bevölkerung Ostbeverns leidet auch Joan Bernard Eilermann lange unter hohen Abgaben, Kontributionen und Einquartierungen preußischer, französischer und russischer Soldaten.
Auch der große Komet, der am 25. März 1811 erstmalig und danach für 8 Monate sichtbar war und sich in nördliche Richtung bewegte, ist als ein beeindruckendes und beängstigendes Naturereignis später aufgeschrieben worden. Eine Zeile – genauso wiedergegeben, wie sie aufgezeichnet wurde - aus dem Bericht: „Laßen ein Comet Sterne kamen am Frimmament mit eine Buchte wahr ihr Schwanz….“. Dann noch die altdeutsche Schrift, dazu die individuelle Handschrift des Verfassers und man kann sich vielleicht vorstellen, weshalb Schubert bei der „Übersetzung“ manchmal verzweifelte, andere Experten kontaktierte, bis sich ein Sinn aus dem Text ergab.
1840 ist Joan Bernard Sudhues, genannt Eilermann, mit Ehefrau Anna Maria Elisabeth und drei Töchtern nach Amerika ausgewandert. Vor der Ausreise wurde der Hof verkauft und in Parzellen aufgeteilt. Das Ziel der Auswanderung der Familie war Fort Loramie. Die beiden 1814 und 1821 geborenen Söhne der Familie waren schon ein Jahr zuvor – ohne Genehmigung der preußischen Regierung – nach Cincinnati/Ohio ausgewandert. Dies vielleicht auch, um dem verhassten und 36 Monate dauernden preußischen Militärdienst zu entgehen.
Nach der Auswanderung und dem frühen Tod des Vaters hat der älteste Sohn Joan Georg Eilermann, geb. 17.01.1814, das Notizbuch weiter geführt. Die Aufzeichnungen des Sohnes beschränken sich aber auf Eintragungen von Geburten, Todesfälle werden später nachgetragen, auf Nachweise von Schulden und Verkäufe von Tieren (Schaf und Pferd) sowie Lebensmittel (Speck) und Wolle, sowie dem Verweis, wer Erwerber gewesen ist.
Werner Schubert hat auf etwas mehr als 90 Seiten die Kopien der Blätter des Notizbuches gezeigt und dann seine „Übersetzung“ – unter Beibehaltung der damaligen Schreibweise und Ausdrucksform - gegenübergestellt. Er hat weitere Ausführungen zur Erläuterung des Zeitgeschehens, vom geschichtlichen und sozialgeschichtlichen Hintergrund, von der politischen Entwicklung (Kaiserreich Frankreich – Ostbevern), Aufhebung der Leibeigenschaft, Auswanderung der Familie Eilermann, als Kurzinformationen für interessierte Leser eingearbeitet, um die Aufzeichnungen besser einordnen und verstehen zu können.
Wegen der aktuellen Pandemie ist eine Präsentation des Buches bisher nicht möglich gewesen. Das will Schubert in einer Veranstaltung im Heimathaus nachholen, sobald dies ohne größere Einschränkungen wieder möglich ist. Darauf kann man gespannt sein.